Stille Maschinen
Man nimmt sie kaum wahr (und wenn, dann allenfalls als Zutat zu komplizierter Technologie): Aber ohne Kühlkörper würde all die Technik, die unser Leben einfacher und komfortabler macht, nicht funktionieren. Diese Bauteile sind oft an der Rückseite von Gerätschaften angebracht. Unsichtbar, aber unverzichtbar. Mit ihrer möglichst großen, reich strukturierten Oberfläche verhindern sie einen Hitzestau, sie ermöglichen erst die intendierte Funktion. Kühlkörper stehen niemals allein für sich, sie stehen immer in Verbindung zum „Hauptgerät“. Es würde sie ohne die Geräte nicht geben – und diese nicht ohne die Kühlkörper.
Ein Faszinosum ist, dass es sich um Passiv-Elemente handelt: Kühlkörper sind Elemente, die alleine durch ihre Konstruktion, Beschaffenheit und Form funktionieren, ohne dass sie auf irgendeine Weise aktiviert werden müssten. Sie sind – stille – Maschinen, die eigentlich keine Maschinen sind. Sie sind reine Formen, denen ein klares Funktionsprinzip zugrunde liegt. Mit ihren geometrisch angeordneten Rippen, Lamellen, Blechfortsätzen, Metallstäben usw. sind sie Skulpturen, die eine industrielle Ästhetik zur Schau stellen – als eine Art industrielle Readymades. Sie erinnern an minimalistische Kunstwerke, sind es aber nicht: Während Minimal Art die Form losgelöst vom Kontext behandelt, folgt die Gestalt – im Gegenteil – von Kühlkörpern ausschließlich der Funktion. Sie sind Skulpturen, die keine Skulpturen sind. Denn sie dienen exklusiv dem Prozess des Wärmeaustausches und machen diesen sichtbar: Da warme Luft aufsteigt und kühlere nachströmt, erzeugt die spezifische Setzung der Stäbe eine Luftströmung, sie erzeugt Wirbel, die Wärme vom Untergrund ableiten und dadurch scheinbar verpuffen lassen. Wärme verschwindet aber nicht einfach. Energie lässt sich nicht vernichten, sondern nur umwandeln – und verteilen.
Die beiden jeweils 2,5 Tonnen schweren Kühlkörper mit ihren 169 Stäben aus massivem Aluminium führen in das Herz des Schaffens der Wiener Künstlerin Judith Fegerl. „Mich interessiert, was da zwischen den Stäben passiert“, sagt sie. Es ist dieses Nicht-Sichtbare, das Fegerl fesselt und antreibt – die Macht, die der Energie innewohnt und die sich in bestimmten Formen widerspiegelt. „still“, eine 2013 gestartete Serie von bisher acht Arbeiten, berührt unmittelbar auch drängende Fragen wie unseren Umgang mit Ressourcen und den Klimawandel. So stellt sie etwa die Frage nach der Verteilung und Umverteilung von Energie – die sich in Form der Kühlkörper manifest.
Dieses Nachdenken über das Wesen der Energie zeigt sich in vielen skulpturale Arbeiten Fegerls: etwa, wenn sie durch kontrolliertes Überlasten von Stromleitungen Brandspuren auf Wände zeichnet (cauter, seit 2012); wenn sie elektrochemische Transformationen in Metallplatten einschreibt (reservoir, 2018); wenn sie die Spannungen in der Struktur eines Gebäudes durch geometrische Ankerformen sichtbar macht (anchors, 2019); oder wenn sie Hochspannungsblitze durch Sand jagt, die sich in Form von Fulguriten materialisieren (2020).
Das eigentliche Werk ist niemals (nur) das, was man sieht. Fegerls wichtigster Werkstoff, die Energie, ist unsichtbar. Das Werk ergibt sich aus der Kombination des Potenzials, das in der Energie steckt, und den physischen Artefakten, in denen diese Kräfte wirksam werden.
Text: Martin Kugler
still
2020
Aluminium
150 x 150 x150 cm (Basisplatte)
169 Stäbe, gerade
150 x 150 x 150 cm (Basisplatte)
169 Stäbe, gefächert
2018
Kupfer
30 x 30 x 30cm
1690 Stäbe
2016
Kupfer
30 x 30 x 30 cm
225 Stäbe
2013
Aluminium
30 x 32 x 28 cm, 62 Lamellen
30 x 32 x 28 cm, 31 Lamellen
60 x 20 x 22 cm, 30 Lamellen
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