erstrebenswerte prothesen | Markus Mittringer, 2010

anmerkungen zu obsessionen und energieumleitungen im werk judith fegerls

eins_ gemeinhin gilt die prothese als ersatz, sie wird „pro“ – vor bzw. anstatt – verstümmelter giedmaßen, abgebrauchter organe, ausgefallener sinnesorgane gesetzt („thesis“). im versuch den ersatz naturgleich zu gestalten, im ehrgeiz, schöpfung zu simulieren, ist aber schon die idee angelegt, schöpfung zu verbessern, das organische zunächst mechanisch, einhergehend mit dem fortschritt von technologie und der weiteren einsicht in die funktionsweisen des körpers, dann auch via manipulation des organischen selbst, zu pimpen. die kräftigere hand, das stärkere herz, der röntgenblick zeichnen den superhelden aus. und: ermöglichen das überschreiten der grenze, den bruch mit der konvention. oder: das aufgehen im/die vereinigung mit dem ideal. oder einfach auch nur ein mehr an übersicht, ein schnelleres eingreifen-können, eine unmittelbare-korrektur: kontrolle.

zwei_ womit sich früher oder später die frage stellt: „bin ich nun mensch oder maschine? bin ich träger diverser prothesen, oder selbst implantat in ein mir übergordnetes größeres? oder, weitergedacht: ist diese ausdifferenzierung überhaupt noch nötig/möglich?

drei_ exoprothesen wirken auf ihren träger zurück, die schnittstelle mensch/maschine erlaubt kommunikation in beide richtungen. das interface macht beide teile einander funktionell ähnlich. die erneuerte kraft, der womöglich via implantat erweiterte horizont, verändern den ersatzteilträger. jede anwendung der prothese provoziert neue vernüpfungen im gehirn. es ist verlockend.

vier_ e.t.a. hofman hat sich selbst in eine erzählung versetzt. als figur verliebt er sich in olympia, eine mechanische puppe des vermeintlichen physikers spalanzani. möglich wird hofmans raserei und liebestollheit durch ein interface, eine brille auf der basis echter augen. die lässt hofmann die welt rosa sehen, bewirkt seine euphorie, lässt ihn die mängel des apparates nicht erkennen. olympia singt „j’ai des vrais yeux, des beaux yeux“ und der zudem heftig zechende (prothese „droge“) hofmann erkennt in der anmutigen mechanik, fleisch und blut und liebe.

fünf_ lieutenant commander data, ein android, konstruiert zum einsatz in situationen, die selbst militärisch gedrillte menschen zum schwächeln bringen, bekommt der kontakt mit seiner humanen umgebung nicht. sein gefinkeltes positronisches gehirn entwickelt, anstatt rechenkünste zu vollführen, emotionen. der roboter weint, entdeckt genuß und liebe. er versendet undeindeutige codes. data vermenschelt. sein menschlicher kollege lieutenant commander geordi la forge gewöhnt sich im lauf der reise so sehr an seinen visor („visual instrument & sight organ replacement“, das ihm die wahrnehmung eines erweiterten wellenspektrums und eine x-fachzoomfunktion bietet) dass er sich einer rückoperation auf „natur“ vehement widersetzt.

sechs_ zivilisation wird immer wieder als megamaschine gedacht – als geschlossener kreislauf von mensch und alles kontrollierender mechanik: gott als maschine, das „system“ als gnadenloser apparat, der wie in franz kafkas „strafkolonie“ das urteil in den rücken des verurteilten schneidet, oder in marcel duchamps „grosses glas“ die schokoladereibe in gang setzt, sobald sich in den junggesellen ein begehr nach dame(n) regt. derart (phantastische) gerätschaften zeigen die liebe als todesmechanismus, oder die maschine als dauerhaft stimulierenden apparat, als ersatz für die leidvolle menschliche reproduktion. (bruno gironcli etwa sah den piloten (sich selbst) seiner „mutterschiffe“ als dauerhaft geborgen in gusseisernen gebärmüttern.)

sieben_ in „galathean heritage“, eine liebesmaschine judith fegerls, ist die trennung zwischen zeugung und schöpferischer funktion vollzogen. der apparat gebiert, einmal in gang gebracht, genährt von elektrizität eine in sich verwobene nabelschnur („amnion“). konserviert steht der knäuel für das potezial „verbindung“, er könnte leitung sein oder blutbahn, oder rohrwerk und zugleich – stammzellenhältig – alles weitere mögliche in sich tragen, selbst kraft haben und macht und leistung.

acht_ Fegerls „metronom“ ist prothese für das haar, ein im takt-schwingen-macher, eine funktionale erweiterung der haarwurzeln. im gegensatz zu den mechanikern der antike, denen der motor als nicht konstruierbar galt – weshalb etwa aristoteles den motor in seiner metaphysik behandelte –, weiß judith fegerl um die machbarkeit des antriebs. sie hat keinen grund ihn zu verstecken, hinter die wand, ins innere der apparatur zu verbannen. sie selbst ist ingenieur, braucht keine aphrodite ihre geschöpfe zu erwecken. fegerl hängt die einfach ans netz; und teilt das prinzip der maschinen genauso, wie sie teilnahme einfordert, die kreisläufe dritter zu einer biosozialen plastik verbindet. oder: joseph beuys’ honigpumpe pumpt jetzt aller blut, und der mechnismus der edgar allen poes „pendel“ bewegt und zugleich alle wände der so schrumpfenden zelle nach innen verschiebt, ist allen jederzeit einsehbar.

neun_ die apparate der judith fegerl sind nicht aggressiv, die invasion der maschinen in den körper nicht tödlich. die anbindung der prothese folgt der notwendigkeit der erweiterung des selbst. so wie die öffnung der blutbahnen des ausstellungsraumes, das freilegen seiner versorgungsleitungen keinen destruktiven akt darstellt. das aufbrechen der oberfläche des white cube dient zum einen dazu, den neutralraum selbst als sensation anschaulich zu machen, andererseits dazu, an neue versorgungsstränge zu denken, weitere anschlüsse zu implantieren, das versorgungssystem mit seinen künftigen prothesen (wenn man so will den kunstwerken und auch besuchern) positiv rückzukoppeln.

erschienen im Katalog
Judith Fegerl – SELF
Kunstaum Niederoesterreich
2010
ISBN: 978-3-9502934-0-1