Auf schiefer Wiesenebene montiert Judith Fegerl eine leicht dystopisch erscheinende Struktur, auf der sich unterschiedliche Paneele befinden. Geprägt von unserer Erfahrung, werden wir an Dach- und Hauskonstruktionen erinnert, die üblicherweise als Basis photovoltaischer Anlagen dienen.
Auf dem kniehohen Stahlgestell finden sich neun Solarpaneele unterschiedlicher Größe, Produktion und Anwendungsbereiche, zum Teil bis zu 20 Jahre alt, aus dem Fundus des Forschungsprojekts Sustainable Photovoltaics (PVRe2). Recycling und Reparatur von alten PV-Paneelen sind der Forschungsgegenstand dieser Allianz aus Industrie- und wissenschaftlichen Partnern: Silicon Austria Labs, Polymer Competence Center Leoben, Montanuniversität Leoben und das Österreichische Forschungsinstitut für Chemie und Technik.
Es geht der Künstlerin um Sichtbarmachung von Systemen und Verhältnissen, deren Flüchtigkeit und Vorläufigkeit sich im Gestus einer hingeworfenen Zeichnung zur Debatte stellt. Dabei zeigt Fegerl Energiequellen und deren technische, inhaltliche und zeitliche Verläufe, die als grundlegende Errungenschaft technischer Revolutionen verstanden werden, aber gleichzeitig so gut wie möglich versteckt, so unsichtbar wie möglich ihrer dienenden Funktion nachkommen mögen.
Im Wissen darum, dass ein Teil des Österreichischen Skulpturenparks einst Mülldeponie war, reflektiert Judith Fegerl den Versuch, Material- und Ressourcenkreisläufe in Gang zu halten. So werden die Kehrseiten der „Clean Energy“, nämlich die Probleme von Herstellung und Entsorgung, thematisiert, die in den Paneelen produzierte Energie, die nicht entweichen kann, befragt sowie unterschiedliche Formen, Oberflächen und Formate, Farb- und Materialveränderungen betrachtet.
In der Neuzusammensetzung und Installation gebrauchter und der Künstlerin überlassener Teile öffnet sich die Thematik des „Second Life“, das optional in den Möglichkeiten der Trennung von Edelmetall und anderen Stoffen oder der Reparatur erscheint.
Unterschiedlich geformte, je nach technischem Entwicklungsstadium runde oder eckige Zellen, die miteinander in Verbindung stehen, erinnern in ihrer ästhetischen Struktur an konstruktivistische und minimalistische Kunstwerke sowie an städtebauliche Überlegungen. Silicium-Zellen durchbrechen dabei geordnete Muster und erzeugen den Effekt von Eisblumen an der Oberfläche. In ihrer Separiertheit und gleichzeitig neuen Zusammenfügung wirken sie defekt, erzeugen tatsächlich aber immer noch Strom, sind aktive Faktoren. So verbleiben sie in ihrer Aufgeladenheit, erzeugen immer noch Energie, befreit von jeder dienenden Funktion und stehen für sich selbst.
Oft als „Verschandelung“ auf Dächern empfunden, entfalten sich die Paneele hier als autonome Statements. Dabei interessiert Fegerl die ihnen innewohnende Energie und jenes ungehobene Potenzial, das sie in sich tragen. Fragen nach Ablaufdaten, Reanimation oder Zirkularität, also Fragen nach Zeit, treffen in künstlerischer Neuformulierung auf jene nach Technologie, deren Funktion und Verfügbarkeit.
Technisch-formale Parameter des rechteckigen Formats, in dem runde, eckige, mono- und polykristalline Zellen auf eine Kunststoffschicht aufgetragen und laminiert werden, begegnen hier ästhetischen Überlegungen repetitiver Muster- und Zellstrukturen, die Kontinuität und Unendlichkeit berücksichtigen und in sich tragen. Architektonische Prinzipien werden dabei ebenso befragt wie die Thematik des Ornaments. Einzelpaneele und der für das Material untypisch arrangierte Verbund, lassen auch Vergleiche mit textilen Strukturen zu.
Mit dem Titel sunset verweist Fegerl ganz bewusst auf die Komplexität des technischen Ausdrucks „server sunset“. Der Begriff „server“ – für das Dienen und permanente Funktionieren stehend – wird hier mit dem romantischen Topos des Sonnenuntergangs gekoppelt. Verwendet wird dieser euphemistische Begriff in der Wirtschaft, wenn das Produkt am Ende seiner Fähigkeit und Nützlichkeit angelangt ist und wegen Nutzlosigkeit aus dem Verkehr gezogen wird. Auf jedes der Paneele scheint die Sonne, sie ist Grundbedingung für deren Nutzung. Mit der sogenannten „Sunset-Klausel“ ist ihnen ein vorherbestimmtes Verfallsdatum eingeschrieben.
Es sind logische Materialien mit Verschleißspuren, Beweisstücke ehemaliger Energieträger, ihres Nutzen enthoben, die Judith Fegerl für ihre Arbeit heranzieht und als potenzielle Ressourcen thematisiert.
Judith Fegerl beschäftigt sich also mit dem Darunterliegenden des Sichtbaren, den Tiefenschichten von Architekturen, Räumen, Oberflächen und Landschaften. Dabei unterbricht sie konstruierte Schaltkreise des Denkens und eröffnet neue Perspektiven und Wahrnehmungsmöglichkeiten. Funktionalitäten werden hinterfragt, neue Identitätsstrukturen ermöglicht. Sie thematisiert scheinbare Diskrepanzen wie Technik und Körper, maschinelle Konstruktion und Bewusstwerdung, Organisches und Anorganisches, um sie offenzulegen, einander gegenüber zu stellen, zu verbinden oder neu zu denken.