Auszug aus dem Text zur Ausstellung “Asynchronous Circuits” in der Galerie Stadtpark Krems von David Komary, 2008
In der dreiteiligen installativen Anordnung Die unsichere Kurvenschar arbeitet Judith Fegerl mit mathematisierten Beschreibungsformen und Zeichensystemen räumlicher und zeitlicher Abläufe. Die Arbeit verweist auf das wesentliche epistemologische Begehren der neuzeitlichen Wissenschaften, auf die Mathematisierung der natürlichen Vorgänge mit dem Ziel der absoluten Erfassung der Welt. Das zentrale Motiv der Arbeit Fegerls ist das mathematische Zeichen für Unendlichkeit, die sogenannte Lemniskate „∞“. Einerseits verweist das Zeichen auf einen Bereich des Unbestimmten, des Grenzenlosen und Unvorstellbaren, auf „Unendlichkeit“, andererseits erhält es, wie jedes andere Zeichen auch, seine referenzielle Funktion gerade durch den Verweis auf ein realiter Abwesendes. Das Zeichen „∞“ ist jenseits seiner Symbolisierungsfunktion in Mathematik und Logik zudem längst zu einer kulturellen Chiffre geronnen, zu einem Träger poetischer bis eskapistischer Projektionen und Aufladungen. Dieses polyseme Zeichen wird nun zum Modell für ästhetische Variationen, für Variationen zeichenhafter Codierung der vermeintlich getrennten ontologischen Kategorien Raum und Zeit.
In Temporal Deflector, dem ersten installativen Teil des Gefüges Die unsichere Kurvenschar, inszeniert Fegerl ein „locochronometrisches“ System. Die Künstlerin gruppiert sechzig Magnetspulen kreisförmig um einen Kompass und steuert die Spulen intervallbasiert, sodass der Kompass erzwungenerweise zum Chronometer der linear-metrischen Zeitlichkeit, einer maschinell generierten „Unendlichkeit“ wird – monoton, getaktet, repetitiv. Raummessung (Verortung durch den Kompass) konvergiert und konvertiert in diesem metrischen Hybrid mit Zeitmessung. Die zwei in der klassischen Physik ontologisch getrennt gedachten Kategorien werden zu einem Raumzeitkontinuum verschränkt. Das „Locochronometer“ erzeugt hierbei eine „erzwungene Ewigkeit“ (so auch der Titel einer früheren Arbeit Fegerls), die die Künstlerin im zweiten Teil der Installation motivisch aufgreift und weiterbefragt.
In sine anima erzeugt Fegerl mechanisch ein künstliches Klangkontinuum von simpler ästhetischer Struktur. Ein motorbetriebener mechanischer Tongenerator versucht einen Sinuston von anhaltender Tonhöhe und Lautstärke, einen immergleichen, „unendlichen“ Ton zu erzeugen. Doch nicht allein die akustische Ebene der Arbeit ist von Bedeutung. Das ästhetische Ereignis Klang wird bei Fegerl seiner zeichenhaften Übersetzung gegenübergestellt: Die grafische Repräsentation des Sinustons, die Sinuswelle, bildet eine Hälfte des Unendlichkeitszeichens „∞“. Fegerl untersucht den Übergang von einem Medium ins andere, von der Zeichenhaftigkeit ins Objekthafte und umgekehrt. Sie fragt nach der Medialität im Prozess der Wahrnehmung, wobei Medialität nicht als Distanzierung und Dissoziation von einer authentisch erfahrbaren Wirklichkeit verstanden wird, sondern vielmehr als „Mediosphäre“, als „Inszenierungsbühne“ (2). Wahrnehmung und Medium gehören darin untrennbar zusammen, Medialisierung erst ermöglicht das Reflexivwerden der Wahrnehmung und in der Folge die Frage nach dem Beobachterstandpunkt.
In der dritten Arbeit verdichtet Fegerl den Prozess der intermedialen Übertragung schließlich zu einem skulpturalen Werk, indem sie das Unendlichkeitszeichen als Fellobjekt Lemniskate Protuberantia modelliert. Das auf diese Weise in die dritte Dimension überführte Zeichen für Unendlichkeit zeigt sich nun als halb Objekt, halb Wesen. Das Fellobjekt lässt an einen weißen Hasen denken, ein Wesen, das in Alice im Wunderland zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen wechseln kann. Es vermag die konventionalisierten Raum- und Zeitordnungen außer Kraft zu setzen, Räume und Zeiten sowie imaginäre und reale Ebenen zu verbinden und ineinander überzuführen.
Man könnte die Praxis Fegerls durchaus als transmediale Durchführung eines Motivs verstehen. Abstrakte Zeichen werden ins Räumlich-Materielle transkribiert, Akustisches in Grafisches und umgekehrt, wobei der Prozess der Transkriptionen sich fortschreibt in einem „asynchronous circuit“, d.h. nicht gerichtet, keiner kausalen, keiner „getakteten“ Logik folgend. Vielmehr führt eine Arbeit zur anderen, stets erscheint eine Arbeit als impliziter Teil einer anderen. Fegerl verknüpft, der Figur des Hasen in seiner vermittelnden und übersetzenden Fähigkeit nicht unähnlich, unterschiedliche mediale und semiotische Ebenen. Weder ist das Fellobjekt realer als das Zeichen, das ihm in seinem Entwurf vorangeht, noch umgekehrt.
(1) Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984. (2) Hans Ulrich Reck, Flügelschlag der Sehnsucht, Ein Versuch über das Ephemere und das Denken, in: Heute ist Morgen, Über die Zukunft von Erfahrung und Konstruktion, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2000, S. 185.