zu Judith Fegerls Arbeit Implantat, in der Gruppenausstellung “Die Welt als Kulisse” in der Galerie im Taxispalais Innsbruck, 2010
Mit der neu entwickelten Arbeit Implantat schließt Judith Fegerl an ihre Auseinandersetzung mit der Konstruktion, der Funktionalität und der Identität von Räumen an. Was Fegerl aufgrund ihres Interesses an den Schnitt- und Anschlussstellen von Technik und Körper, Technologie und Bewusstsein, anorganischer und organischer Materie bei dieser Arbeit thematisiert, ist eine Art „Personalisierung“ von Räumen. Unmittelbarer Vorläufer von Implantat ist die Arbeit SELF (2010), bei der Fegerl eine ganze Kunstinstitution nicht nur von allen Einbauten, Anschlüssen und Beleuchtungskörpern befreite, sondern auch die in Boden und Wänden verborgene technische Infrastruktur bloß legte, um den Raum selbst zu zeigen.Im Unterschied dazu wurde bei Implantat ähnlich wie bei biogenetischen Reproduktionsprozessen ein Raum auf Basis bestehender, transplantierter Elemente und analog zum Design der Ausstellungsräume vor Ort neu generiert.
Der kubische Raum wurde von Judith Fegerl spezifisch für das im Souterrain liegende Foyer der Galerie konzipiert. Das von Betonwänden sowie Glas- und Holzelementen definierte Foyer bildet einen Knotenpunkt, an dem eine Treppe, Türen und Verbindungswege zusammentreffen und das von mehreren Seiten sowie vom höher gelegenen Erdgeschoß aus einsichtig ist. Das Raumimplantat füllt diesen Vorraum nahezu vollständig aus. Und da der Raum dem Betrachter zunächst seine Rückseite zuwendet, ist es, um in sein Inneres zu gelangen, notwendig, sich durch einen schmalen Gang zu zwängen. Durch diese Enge, die sich im klaustrophobischen Eindruck des gedrängten Innenraums fortsetzt, wird die Aufmerksamkeit des partizipierenden Betrachters ebenso auf sich selbst wie auf den Körper des Raums gelenkt. Dieser Körper erweist sich im Rauminneren als White Cube, während er von außen roh und unverhüllt vorliegt. Aufgrund der Mehransichtigkeit wird der Raum zum Objekt, und damit wird greifbar, was im gewohnten Ausstellungsbetrieb als möglichst neutraler, wenn nicht sogar „unsichtbarer“ Hintergrund funktionieren soll.
Der als Ausstellungsraum prinzipiell voll funktionstüchtige, aber dennoch leere Raum ist eine Art Sprössling, eine modellhafte Reduplikation der spezifischen Ausstellungsarchitektur der Galerie. Er doppelt gleichsam das bestehende puristische Raumdesign – zum einen durch Nachbau, zum anderen durch die Integration eines Teils der Deckenverkleidung, von Leuchtkörpern und mehreren Steckdosen aus den benachbarten Ausstellungsräumen. Die Lücken, die diese temporären Verpflanzungen dort verursachen, bleiben als Öffnungen bestehen, die den Blick auf das Dahinter, auf das Innenleben der Räume freigeben. Durch die Form der Reproduktion, aber auch durch die räumliche Positionierung und die Anschlüsse, die den Raum mit Energie und Information versorgen, ist das Implantat mit der übergeordneten Architektur, von der es gleichsam beherbergt wird, verbunden und vernetzt.
In diesem Zusammenhang nimmt Judith Fegerl auch eine Subjektivierung des Raums vor. Die Bezeichnung „Implantat“ repräsentiert eine Auffassung von Raum und Technik, die Analogien zum organischen Körper und menschlicher Subjektivität behauptet. Auf ähnliche Weise lassen sich die physischen Elemente der Raumkonstruktion mit Begriffen wie Skelett und Haut und dessen Versorgungsstränge als Adern und Nervenbahnen beschreiben. Zusätzlich scheint es, als hätte das Raumimplantat eine Form von Bewusstsein entwickelt, wenn Fegerl dessen Situation innerhalb der größeren, ihn umgebenden Architektur schildert: „fast in einer trotzigen haltung kehrt er die offene seite gegen eine wand, nimmt eigentlich nur platz in anspruch. es ist eine selbst-bewusstwerdung des raums, in seinen abhängigkeiten und ursprüngen.“1 Der Sprössling verweigert sich gleichsam der üblichen Zweckbindung von Ausstellungsräumen, indem er sich dagegen sperrt, wie die vorhergehendeGeneration in den Dienst genommen zu werden. Fegerl bezieht sich für die Metapher, in welche sie die Arbeit Implantat verstrickt, auf das Maschinenverständnis von Gilles Deleuze und Félix Guattari, wie es in deren Buch Anti-Ödipus (1972) formuliert ist: als „ein Bestreben, die Technik in einen Zusammenhang mit dem Sozialen, Psychischen und Biologischen zu stellen.“2
Analog dazu sind die im Katalog abgebildeten Zeichnungen von Judith Fegerl zu verstehen, die eine Konstruktionsvariante des so genannten „Hyperkubus“, einen 4-dimensionalen Würfel visualisieren. Geläufige Animationen dieser geometrischen Figur zeigen einen großen kubischen Raum, der in seiner Mitte zunächst einen kleineren Raum beherbergt, welcher sich in einer Rotationsbewegung jedoch nach außen bewegt, vergrößert und über den zuvor noch größeren Raum stülpt. In Fegerls Zeichnungsserie bewegt sich der kleinere Raum vom größeren weg und löst sich schließlich von diesem gänzlich ab. Auf vergleichbare Weise emanzipiert sich Fegerls Raumimplantat von der Ursprungsarchitektur und entwickelt gleichsam seine eigene Individualität. Die Vorstellung, dass komplexe Räume und Technologien mit einer Art Bewusstsein ausgestattet sein können, erscheint als eine hochgradig spekulative These. Nichtsdestotrotz verweist die Metapher vom Raum als Subjekt darauf, dass sich im Design, in der Funktionalität oder ganz allgemein im Wesen von Räumen und integrierten Technologien verschiedene Zielsetzungen und Ordnungssysteme, aber auch Wunschvorstellungen und Phantasmen ausdrücken, die als verdichtete Komplexe performativ auf ihre Nutzer zurückwirken.
1_ Judith Fegerl, Email an den Autor, 2. 12. 2010.
2_ Henning Schmidgen, Das Unbewußte der Maschinen. Konzeptionen des Psychischen bei Guttari, Deleuze und
Lacan, München 1997, S. 158.
Die Welt als Kulisse / The World as a Backdrop
Hg./eds.: Galerie im Taxispalais, Beate Ermacora, Christina Nägele und / and Jürgen Tabor
Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 2011
ISBN: 978-3-86984-181-6