Muttermaschine | Felicitas Thun-Hohenstein, 2007

zu Judith Fegerls Arbeit Galatean Heritage, 4viertel – Kunst bei Wittmann und im MUMOK

Beim Betreten von Judith Fegerls Ausstellung „Galatean Heritage“ fällt zuallererst auf, dass das zentrale Objekt eine selbstgebaute Rundstrickmaschine ist, die mit verlangsamter, ja kaum merklicher Geschwindigkeit, aber dennoch unerbittlich, ihrer Arbeit nachgeht. Es handelt sich nicht um den einer solchen Maschine eigentlich zukommenden intensiven Produktionsprozess, sondern das Gerät nimmt, einer Uhr ähnlich, Zeitmaß. Durch die Trennung von Bestimmung und Funktion verändert sie den sozialisierten Zeitbegriff – der kinetische Moment der verfremdeten Geschwindigkeit ist es wohl, welcher den Produktionsfaktor Maschine für den Betrachter primär zum ästhetischen Objekt mutieren lässt. Es wird zwar gestrickt, doch nicht um ein Kleidungsstück serienmäßig zu produzieren, denn die hybride Technologie der mit konzentriertem Geräusch langsam und präzise arbeitenden Nadeln gebärt ein amorphes, weniger vom Gebrauchs- denn vom Assoziationswert bestimmtes Objekt.

Diesem Gebilde aus unbehandelter und ungebleichter Schafwolle, einem potentiell endlosen Strumpf gleichend, wird sofort Gewalt angetan. Der Beginn des Textils ist durch zwei Aluminiumrollen geführt und danach in einem Abstand von drei Metern zwischen zwei verschraubten, sich unkenntlich drehenden Flacheisen fixiert. Wie auf einer Art Streckbank wird das naturreine Strickobjekt zuerst horizontal gepresst, um in der Folge durch eine Drehbewegung zur „Doppelhelix“ oder „Nabelschnur“ zu werden. Diese wird im 4-monatigen Verlauf der Installation in ständiger Drehung letztlich in die Form eines später am Boden liegenden kontinuierlich anwachsenden amorphabstrakten Organismus gezwungen.

So wie bei anderen Arbeiten Fegerls wird auch in dieser komplexen Rauminstallation die Annäherung und Auseinandersetzung der Künstlerin mit Erfahrungsmöglichkeiten thematisiert, die in einem Spektrum zwischen technoiden Produktionsmitteln bzw.
reproduzierenden Technologien und der unmittelbaren Wahrheit direkter Gefühlswerte liegen. Der hier demonstrierte Prozess vermittelt in der Tätigkeit des Strickens einerseits Energien aktiver Produktion, durch die Aggression des Verwindens und Pressens aber auch ein Gefühl der Passivität, von hilfloser Manipulation. Gefühlswerte der Selbstbestimmung wie des Ausgeliefertseins stehen im Mittelpunkt der Aussage von „Galatean Heritage“.

Dieser brisante thematische Ansatz wird mit den zeitgenössischen Mitteln der Installation bzw. dem performativen Objekt formalisiert und gewinnt seine außergewöhnliche Qualität vor allem auch durch die grundlegende Kontextualisierung als kulturgeschichtlich ritualisiertes Thema.

Die atmosphärisch dichte Rätselhaftigkeit des arbeitenden Maschinenobjekts wird nämlich durch die Betitelung mit der in den „Metamorphosen“ Ovids so kunstvoll formulierten männlichen Phantasie des Galatea-Mythos verknüpft. Dort berichtet der römische Dichter in spektakulär gedrechselter Sprache von Pygmalion, dem Künstler, der, zum Frauenfeind geworden, nach dem idealen Wesen strebt und dieses in Elfenbein modelliert. Er bittet Aphrodite (Venus), ihm eine Gefährtin zu schenken, die diesem Kunstwerk gleicht und als er darauf in seiner Werkstatt zärtlich an der Figur schleift und poliert, erwacht diese zum Leben. Der überlieferte Name der elfenbeinernen Schönheit ist Galatea.

„Während der Liebende staunt und bange sich freuet und Täuschung
Wieder besorgt und wieder den Wunsch mit Händen berühret,
War sie Leib; und es schlagen, versucht vom Daume, die Adern.
Jetzo erhebt der paphische Held vollströmende Worte,
Worte des Danks zu Venus, der Gütigen! Endlich vereint er
Zum nicht täuschenden Munde den Mund: die gegebenen Küsse
Fühlt die Errötende, hebt zu dem Lichte die leuchtenden Augen
Schüchtern empor und schaut mit dem Himmel zugleich den Geliebten.“

Ovid, Metamorphosen, 10. Buch

Hier, im kulturgeschichtlichen Prototypus maskuliner erotischer Phantasie, wird der weibliche Körper vom männlichen Künstlerideal geschaffen und stark fetischiert. Der Mythos geht so weit,dass der Mann letztlich seiner Idealkreatur das Leben mit einem
Kuss einhaucht. Diese „sinnliche Entjungferung“ ist lebensgebend, nun fühlt „die Errötende“ und übereinstimmend mit dem männlichen Wunsch nach der passiven, devot sich hingebenden Frau hebt sie „die leuchtenden Augen schüchtern“, um erstmals
„mit dem Himmel zugleich den Geliebten“ zu schauen.

Generationen von Künstler haben mit der ästhetischen Umsetzung dieser männlichen Idealvorstellung kokettiert, zahllose „Meisterwerke“ wurden geschaffen.Aus der Sicht der Frau allerdings handelt es sich hier um einen Vorgang, bei dem die erotische Transzendenz der von Pygmalion geschaffenen begehrenswert blühenden Geliebten, darin besteht, zur „Beute zu werden, um Beute zu machen.“ Für Simone de
Beauvoir wird das Mädchen „ein Objekt, und es erfasst sich als Objekt“. Es steht „unverhofft (….) als Objekt sich selbst gegenüber“ und versteht nun, dass „die Verherrlichung ihres Körpers bei ihr über die Huldigung der Männer, denen dieser Körper bestimmt ist“ geschehen wird.2
Auch den Prozess der menschlichen Reproduktion, Schwangerschaft, Geburt und Erziehung interpretiert die französische Philosophin als für die Frau fremdbestimmte Situation, der sie sich passiv unterordnen muss.3

Judith Fegerl konfrontiert uns in „Galatean Heritage“ mit den wesentlichen inhaltlichen Implikationen dieses mehr als aktuellen Themenkreises um den Positionierungsprozess der Frau angesichts veränderter Koordinaten, steht doch die Wissenschaft nahezu vor der Verwirklichung der im Pygmalion-Mythos kunstvoll formulierten Vision. Künstliche Befruchtung, Gentechnologie und das vorhandene technische Potential der Verbindung von Maschine und Mensch ermöglichen die Herstellung androider Wesen. Diese tiefgreifenden Entwicklungen stellen grundsätzliche Fragen zu Art und Weise von Produktion bzw. Reproduktion und bedingen veränderte Vorstellungen vom Wesen weiblicher Produktivität und Identität.

1 siehe dazu: Gena Corea, Die MutterMaschine. Reproduktionstechnologien
von der künstlichen Befruchtung zur künstlichen Gebärmutter, Berlin 1986
2 siehe dazu: Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht – Sitte und Sexus
der Frau, Rowohlt 1994, S. 412/413
3 siehe dazu: w.o. 612 ff