Phasenraum. An der Oberfläche der Architektur. | Georgia Holz, 2013

zu Judith Fegerls Einzelausstellung “Phasenraum” im Museion Bolzano, 2013

Der Project Space des Museion ist kein klassischer in sich geschlossener White Cube, vielmehr ist er ein offener, transitiver Raum, der von divergierenden Positionen aus einsichtig ist – vom Eingangsbereich des Museums ebenso wie aus dem Außenraum und sogar von dem eine Ebene höher in den Raum ragenden Stiegenhaus aus. Ein Ort mit spezifischen Eigenschaften, der nicht unbedingt den idealen Bedingungen eines Ausstellungsraums entspricht. Doch genau diese Herausorderung macht Judith Fegerl zum Ausgangspunkt für ihre ortspezifischen Eingriffe und aktiviert den Raum selbst als Material und als Körper, dessen Oberfläche sie offenlegt und manipuliert. Die Position der Betrachter_innen spielt dabei eine ebenso wesentliche Rolle, wie die Positionierung der Installationen selbst.

Wie einen Membran perforieren Drähte die freigelegte Wand für die Installation Stitching, die bereits vom Eingangsbereich des Museums aus sichtbar ist. Auf einer 200 x 140 cm großen Fläche wurde in einem annähernd operativen Prozess ein Stück Rigipsverschalung mit präzisen Schnitten entfernt und Elektrodrähte durch den frei gelegten, nackten Beton parallele geführt. Die Assoziation zu Nähten ist naheliegend, verlaufen sie doch horizontal auf der Außen- und vertikal auf der Innenseite. Wie eine Klammer umschließen sie die Wand, markieren ihr Volumen und ihre Materialität, und transferieren den ansonsten im Inneren liegenden Energiekreislauf an die Oberfläche. In kurzen rhythmischen Intervallen werden die Drähte zum Glühen gebracht und erkalten wieder, wie ein Pulsschläge des Baukörpers selbst. Der Titel spielt bewusst mit seiner Doppeldeutigkeit, im Sinne medizinischer als auch handwerklicher Konnotation. Den Topos von der Architektur als Körper hat Judith Fegerl bereits in früheren Arbeiten aufgegriffen und konsequent weiterentwickelt. Das Interesse der Künstlerin gilt den Schnittellen und Symbiosen von Architektur und Körper, Mechanischem und Organischem, Technologie und Natur, die sie in ortspezifischen Projekten erforscht, zum Beispiel mit SELF im Kunstraum Niederösterreich in Wien, 2010. Für die Intervention hat sie alle Kabel und Elektroleitungen freilegen lassen, quasi das Nerven- und Energiesystem der Architektur nach außen gekehrt, und gleichzeitig den Ausstellungsraums selbst leer gelassen. Die über den gesamten Raum verteilten Kabel wirkten wie grafische Setzungen.

Formal entspricht Judith Fegerls Stitching einer minimalistischen Zeichnung im Raum, wobei der Draht als Linie und die Wand als deren Matrix – weniger Bildgrund als Bildträger – fungieren. So gesehen hat die Zeichnung ihre primäre Kompetenz, realen, dreidimensionalen in den illusionistischen, zweidimensionalen Raum eines Bildträgers zu überführen aufgegeben und manifestiert sich als materialisiertes Objekt im Raum selbst. Diese Linien sind keine Spuren und Markierungen durch den künstlerischen Gestus, der Bewegungsimpuls der menschlichen Hand ist überführt in den elektrischen Impuls, der glühenden Drähte – Zeichnung als angewandte Physik.

Auch für die Zeichnung mit dem Titel Cutane, (2012) hat Judith Fegerl auf den künstlerischen Gestus zugunsten der unter Strom gesetzten Drähte als Mittel zur Formfindung verzichtet. Deren filigrane Brandspuren haben unregelmäßige Linien in die Latexschichten, die sie umschließen, gezeichnet, sich in das materielle Gedächtnis eingeschrieben. Eine wirksame Strategie, um simple physikalische Vorgänge auf ihr Potential als Aufzeichnungsapparatur hin zu überprüfen und gleichzeitig ihre ästhetischen Qualitäten anschaulich zu machen. Die Manipulation des Materials durch Faltung und Verschiebung der beiden Schichten führt zu partiellen Verdoppelungen der Linien, was erstaunlicherweise die Illusion von räumlicher Tiefe evoziert. Sowohl der Titel als auch die Wahl des Materials referenzieren mehr oder weniger direkt auf die Haut als körperliche Hülle. Das setzt ein durchaus divergierendes Spektrum von Assoziationen in Gang, was in starkem Kontrast zum fragilen und reduzierten Charakter der Zeichnungen steht. Die thematischen Gegensatzpaare Körper/Technik und Mensch/Maschine finden darin ihre materielle Entsprechung.

Eine Manipulation an der Haut oder Oberfläche der Architektur nimmt auch die in situ Installation Hinzufügen von Freiheitsgraden vor. Wie eine Prothese ist der aus beweglichen Panelen bestehende Paravent an die Wand angelegt und bewirkt so ein Expandieren ihrer ursprünglichen Fläche in den Ausstellungsraum hinein. Was die Prothese ersetzen soll, erschließt sich den Betrachter_innen erst, wenn sie den Raum bereits verlassen haben. Von dem erhöhten Treppenabsatz aus wird einsichtig, was sich hinter dem Paravent verbirgt, nämlich die freigelegte Betonwand. Als Freiheitsgrad bezeichnet man die Zahl der frei wählbaren, voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines starren Körpers im Raum. Für den Ausstellungsraum bedeute die Interventionen der Künstlerin eine Erweiterung seines „Bewegungsspielraums“.

Judith Fegerl befragt den Ausstellungsraum auf seine Funktionen hin, kreiert einen Phasenraum – wie sie ihn selbst nennt. Der aus der Physik stammende Begriff – er bezeichnet eine Skizze in der jeder mögliche räumliche Zustand durch einen Punkt gekennzeichnet und repräsentiert wird – verweist auf drei den Raum definierende Aspekte, seine räumliche Ausdehnung, seine Energie und seine Zeitlichkeit.